Scott
Sonstiges:
- Vermittlung nur zu Artgenossen
- Spezialkenntnisse erforderlich
Scott ist über einen anderen Verein zu uns ins Tierheim gekommen. Er soll vorher in Portugal auf einem Hof einer älteren Dame mit bis zu 100 anderen Hunden zusammen gelebt haben.
Seit 2017 hat Scott eine in den ersten Jahren langsame und zarte, dann immer schnellere und für seine Situation beeindruckende Entwicklung hingelegt. Hier folgt Scotts Geschichte:
Offensichtlich wurde Scott als Junghund leider überhaupt nicht auf Menschen sozialisiert und lernte die menschliche Hand wohl erst kennen, als der Hof aufgelöst und er eingefangen wurde. Scott hatte also nicht viel Grund irgendetwas Positives mit uns Menschen (außer Futter...) zu verknüpfen. In unserem Tierheim angekommen, ließ er sich die ersten zwei Jahre nicht von sich aus anfassen. Allein die Befürchtung, wieder eingefangen oder irgendwie fixiert zu werden, konnte ihn dazu bringen, in wilder Panik gegen Wände zu springen, zu schreien und dabei Darm, Blase und Analdrüse zu entleeren.
Die erste wirkliche Freude konnten wir ihm damit bereiten, dass er neben dem eigenen Außenauslauf und den für ihn so wichtigen Artgenossen auch möglichst schnell Zugang zu unserem großen Hundeplatz erhielt, was zum täglichen Highlight für ihn wurde. Dank der Begleitung seiner Hundefreunde entwickelte er Routine darin, mit uns Menschen "kontaktlos" mitzukommen und nach dem Spielen und Erkunden auf dem Hundeplatz wieder selbst zurück in sein Zimmer zu laufen.
Der nächste Meilenstein war, dass Scott anfing, sich bei einigen vertrauten Personen gerne in der Nähe aufzuhalten, wenn diese sich ruhig ins Zimmer setzten, etwas lasen oder schliefen - allerdings ausschließlich mit einem deutlichen Sicherheitsabstand. Er nahm sogar bald Leckerlies aus der Hand und konnte aus der Hand gefüttert werden. Die Freundschaft endete aber sofort, sobald man nur ansatzweise den kleinen Finger (ohne Futter) in Scotts Richtung streckte, dann suchte er sofort das Weite und kam an diesem Tag auch nicht wieder näher.
Der Fortschritt stagnierte fürs Erste und machte erst einen Sprung, als Scott regelmäßig vor lauter Vorfreude auf dem Weg zum Hundeplatz vor der Zimmertür seinen Sicherheitsabstand vergaß und winzige, beiläufige Berührungen möglich wurden. Da diese anfangs nur sehr, sehr kurz waren und sofort danach seine Lieblingsbeschäftigung folgte, ließ Scott diese "Unverschämtheit" durchgehen, ohne wieder sofort negative Konsequenzen zu ziehen. Im Gegenteil - nachdem er einige Wochen registrierte, dass nach der Berührung nichts Schlimmes mehr folgte, ging er überraschend (quasi von einem Tag auf den anderen) von sich aus zu den beiden Kolleginnen, die schon früher viel Zeit bei ihm verbrachten und denen er am meisten vertraut, und fing an, sich freiwillig schüchtern streicheln zu lassen.
Nachdem das Anfassen nun endlich ohne große Panik möglich geworden ist, fingen wir an, ihn langsam an das Gefühl zu gewöhnen, etwas am Körper zu tragen. Zu Beginn war dies nur ein leichtes Halsband, dann irgendwann ein leichtes Geschirr, dann ein Sicherheitsgeschirr etc. - aber erstmal monatelang ohne eine Leine daran zu befestigen, da dies das zarte "Fortschrittspflänzchen" gleich wieder zerstört hätte und er. Jedes Gefühl von "Zwang" und "festgehalten werden" triggerte bei Scott sofort wieder die alten Panikattacken.
Heute ist der Stand, dass er sich bei seinen Lieblingstierpflegerinnen sogar auf die Seite legt und es genießt, gekuschelt und gebürstet(!) zu werden. Auf Zuruf kommt er auch direkt zu ihnen gelaufen. Kriegt er Angst, lässt er sich von seinen Vertrauenspersonen im Vergleich zu früher ziemlich gut beruhigen. Außerdem führen wir Scott mittlerweile - nach vielen Monaten üben auf unserem eingezäunten Gelände - mit viel Sicherheitsvorrichtung (Halsband, doppelte Leine, Sicherheitsgeschirr, Befestigung der Leine am Bauchgurt) auch draußen in der Umgebung unseres Tierheims spazieren, bisher ohne weitere Panikattacken. Nervös macht ihn allerdings schon noch, dass da ein Mensch hinter ihm her geht, der an ihm "festgebunden" ist. Dann läuft Scott hin und wieder einen Kreis, um seinen Menschen zu umrunden und lieber hinten zu laufen statt vorweg.
Unabdingbar für Scotts Lebensqualität sind freundliche Artgenossen, die mit ihm zusammenleben und ihm helfen, mit uns Menschen "klarzukommen". Kontakt zu Hundefreunden ist für ihn wesentlich wichtiger als der Kontakt zu Menschen, um glücklich zu sein. Hündinnen sind ihm am liebsten. Vor Männern zeigte er bisher deutlich mehr Angst als vor Frauen. Am ehesten sucht Scott bei sanften und ruhigen Charakteren Nähe.
Aggressionsverhalten gegen Menschen zeigte Scott bei uns selbst während Panikattacken zu keinem Zeitpunkt.
Uns ist bewusst, wie schwierig eine Vermittlung von Scott unter diesen Umständen ist. Ein normaler Familien-/Begleithund wird er trotz aller Fortschritte nicht werden und kann nur in besondere Verhältnisse vermittelt werden. Neue Halter sollten sich sehr vertraut mit seiner besonderen Situation machen und schon Erfahrungen in Richtung "teilsozialisierter Hund" haben. Für Kinder und turbulente Umgebungen eignet er sich nicht. Sein neues Zuhause sollte am besten direkten Anschluss zu einem gut gesicherten, eingezäunten Garten/Gelände haben, den oder das keine Fremdpersonen unkontrolliert betreten können, damit er nicht wie viele frisch vermittelte "Angsthunde" entläuft und unterwegs verunfallt. Außerdem braucht Scott mindestens einen bereits vorhandenen, ihm freundlich gesinnten Hund und einen Ort, an den er sich jederzeit ungestört zurückziehen kann, wenn es ihm zuviel wird.
Gewicht: 26 kg
Schulterhöhe: ~ 57 cm
letzte Überarbeitung des Textes: 16. April 2022